Wir dokumentieren die Stellungnahme einiger Aktivistinnen zum Vorgehen von Bullen und Justiz gegen eine (pro)feministische Kundgebung in Salzburg am 27. 10. 2017 auf der Basis des neuen §7a Versammlungsgesetz („Schutzzone“):
Im Oktober 2017 wurde die Pro-Choice-Kundgebung gegen den alljährlich stattfindenden christlich-fundamentalistischen “Marsch für das Leben” von der Polizei gekesselt. Bereits wenige Minuten nach der Auflösung konnten wir weder die Kundgebungsmittel abbauen, noch den Versammlungsort verlassen. Die verbliebenen ca. 30 Aktivist_innen wurden anschließend einzeln – teilweise unter Einsatz von körperlicher Gewalt – aus dem Kessel gezerrt und zur Identitätsfeststellung gezwungen. Die Pro-Choice-Kundgebung war ursprünglich bis 20 Uhr angemeldet. Die Kiwarei forderte eine frühzeitige Auflösung um 17 Uhr und drohte an, die Pro-Choice-Kundgebung andernfalls zu untersagen. Begründet wurde dies mit der Änderung des Versammlungsgesetzes, welches eine Schutzzone um jede Kundgebung vorschreibt, in der keine weitere Versammlung legal ist. Alle gekesselten Aktivist_innen erhielten eine Verwaltungsstrafe, gegen die aktuell kollektiv vorgegangen wird. Die Maßnahmenbeschwerde der Anmelderin gegen das Verhalten der Polizei wurde in erster Instanz abgelehnt.
Für Anfang Juni ist die mündliche Verhandlung über Beschwerden mehrerer Aktivist_innen gegen die Straferkenntnisse anberaumt im Landesverwaltungsgericht Salzburg, Wasserfeldstraße 30:
Montag, 4.6.: ab 10.30 Uhr
Dienstag, 5.6. – Freitag, 8.6.: jeweils 9-12 Uhr und 13-16 Uhr
Wir werden auch in diesem Schritt kollektiv und politisch vorgehen und wünschen uns Verstärkung – kommt vorbei, gerne mit Perücke!
Alle Jahre wieder finden christlich-fundamentalistische “Märsche für das Leben” in mehreren Städten in Österreich statt. Organisiert werden diese von der “Jugend für das Leben”, die als das jugendliche Standbein der selbsternannten “Lebensschutzbewegung” auftritt. Ziel dieser Organisation ist es legale und sichere Schwangerschaftsabbrüche unmöglich zu machen. Ebenso betreiben ihre Mitglieder Propaganda gegen Verhütungsmittel. Generell ist ihnen fortschrittliche Sexualaufklärung ein Dorn im Auge. Seit 10 Jahren wird gegen diese unsäglichen Veranstaltungen demonstriert. Im Oktober 2017 verlegten sie erstmals den Zeitpunkt kurzfristig von Dezember auf Oktober vor. Ein Vorteil, den sich die Fundis dadurch verschafft haben, war, dass sie die Erstanmeldenden und damit vom neuen Versammlungsgesetz Bevorzugten waren. Das bedeutet, dass neben ihrer Kundgebung keine andere zur gleichen Zeit innerhalb eines “Schutzbereiches” stattfinden darf, in unserem Fall 50 Meter (§7a (3) Versammlungsgesetz). Das ist aufgrund der räumlichen Gegebenheiten vor dem LKH praktisch unmöglich. Deshalb verlegten wir den Endzeitpunkt der Pro-Choice-Kundgebung von 20 Uhr auf 17 Uhr vor um die von der Kiwarei angedrohte gänzliche Untersagung zu verhindern und überhaupt kundgeben zu können.
Auch die weitere Einsatzvorbereitung der Kiwarei verlief zu unserem Nachteil. Eine Vorverurteilung von Pro-Choice-Aktivist_innen durch die Kiwarei muss die Grundlage gewesen sein. Das offensichtlich abstruse Zeitmanagement diente der Kriminalisierung und garantierte eine Vielzahl an Anzeigen. Außerdem sollten weitere Proteste an diesem Tag verunmöglicht werden. Das war so:
Aus einem von der Polizei übermittelten Aktenvermerk (“Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme”) geht hervor, dass die Exekutive lediglich ein Zeitfenster von fünf Minuten für den Abbau der Pro-Choice-Kundgebung und das Verlassen des Platzes vorgesehen hatte. Wir zitieren aus unserer kollektiven Beschwerde:
“Die eingesetzten Kundgebungsmittel der Pro-Choice-Kundgebung umfassten u.a. ein Auto mit Dachträgern, auf denen die Lautsprecherboxen einer Musikanlage befestigt waren, sowie eine mehrteilige Tonanlage und zahlreiche Transparente. Das muss der Behörde durch die Kungebungsanmeldung bereits weit im Vorfeld bekannt gewesen sein. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass die eingesetzten Beamt_innen diese Kundgebungsmittel vor Ort mit eigenen Augen wahrgenommen haben. Es ist unverständlich, wie der Behördenleiter zu der Annahme gelangen konnte, dass die genannten umfangreichen Kundgebungsmittel innerhalb von weniger als fünf Minuten abgebaut, das Auto weggefahren und von allen Teilnehmer_innen der Platz verlassen werden könnte, zumal anzunehmen ist, dass sowohl Behördenvertreter als auch weitere Beamt_innen nicht zum ersten Mal eine Versammlung gesehen haben.”
Das deutet darauf hin, dass die Kiwarei mit ihrem Vorgehen eine “Falle” stellen wollte. Es war augenscheinlich gar nicht gewünscht, dass wir nach der Auflösung tatsächlich den Ort der Kundgebung verlassen können. Warum sonst wäre eine Gruppe von ca. 30 Pro Choice-Aktivist_innen rechtzeitig durch eine Amarda von ca. 80 KiwaristInnen eingekesselt worden? Offenbar befürchtete die Kiwarei, dass es nach dem Weitermarsch der AbtreibungsgegnerInnen zu Störungen kommen würde. Diese Befürchtungen dürften bereits weit im Vorfeld dieser Veranstaltung bestanden haben, was sich an der Stellungnahme der LPD Salzburg zur Maßnahmenbeschwerde belegen lässt: “Im Übrigen wird angemerkt, dass für den Verein XY immer wieder verschiedene weibliche Personen als Anmelderinnen und Leiterinnen von Versammlungen auftreten. Diese erscheinen bei den einzelnen Kundgebungen auch mit jeweils verschiedenfärbigen und unterschiedlichen Perücken und versuchen so ihre Identität zu verschleiern”. Die Beamt_innen müssen schon Wochen vorher im Albtraum von Perücken tragenden Feminist_innen heimgesucht und geplagt worden sein.
Unserer Einschätzung nach ist das neue Gesetz ein Mittel zur:
1. Untersagung/Verunmöglichung von Gegenprotesten in einem sinnvollen Abstand in Sicht- und Hörweite
2. Kriminalisierung von zivilem Ungehorsam (zB Sitzblockaden) und anderen Widerstandsformen, die eine physische Nähe voraussetzen, unter dem Deckmantel der Deeskalation.
3. Einschränkung der Bewegungsfreiheit
4. Finanziellen Schwächung linker Strukturen: 30 Anzeigen à ca. 200 Euro ergeben 6000 Euro – leicht verdientes Geld für Kiwarei.
5. Abschreckung neuer Aktivist_innen: Das Kalkül der Kiwarei scheint zu sein, dass eine neue Aktivistin, die sich 5 Minuten “zu lange” am Kundgebungsort aufhält und daraufhin mit Würgegriff aus dem Kessel gezerrt wird, möglicherweise zu keiner Demo mehr gehen mag. Glücklicherweise geht diese Strategie nicht auf, ganz im Gegenteil!
6. Delegitimierung von Protest: Das Vorgehen der Kiwarei auf Grundlage des § 7a VersG erzeugt die Außenwirkung, dass Fundi-Bestrebungen schützenswert seien, wohingegen Anliegen von Pro Choice-Aktivist_innen nicht schützenswert, sondern kriminell und gefährlich seien.
7. Ausübung von Willkür: Laut unserer Erfahrung im Zuge der monatlich stattfindenden Kundgebungen gegen die Gebetsvigilen von Human Life International vor dem Landeskrankenhaus kann der Abstand von 50 Metern durchaus ohne Konsequenzen unterschritten werden.
Die Maßnahmenbeschwerde wurde durch fadenscheinige Argumente abgewiesen. Wir möchten insbesondere darauf hinweisen, dass die Richterin wenig überraschend, aber ärgerlicherweise einen Unterschied gemacht hat in der Glaubwürdigkeit von Beamt_innen und Aktivist_innen. Das geht so weit, dass sie Aktivist_innen abspricht die Uhrzeit richtig abzulesen, während Beamt_innen scheinbar speziell dafür ausgebildet wären. Die Richterin hat auch Aussagen von Aktivist_innen ignoriert, die im Widerspruch zu den Aussagen der Kiwarei standen. Wir möchten daher zu Bedenken geben, dass es unserer Erfahrung nach keine gute Idee ist weitere Mitstreiter_innen als Zeug_innen zu nennen, auch wenn der Kiwarei im Zusammenhang mit der betreffenden Amtshandlung ihre Identitäten schon bekannt waren. Das Urteil ist nachzulesen unter: https://www.salzburg.gv.at/lvwg/Documents/Entscheidungen/405-12-18-1-17-2018_dms.pdf
Wer glaubt, dass das neue Versammlungsgesetz eine Ausgeburt der neuen Regierung Türkis-Blau ist, irrt sich: Das Gesetz wurde noch unter Rot-Schwarz verabschiedet. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte: Die Sozialdemokratin Gabi Burgstaller ermöglichte als Landeshauptfrau die Einrichtung der Gynmed. Dort können seit 2005 auf dem Gelände des Landeskrankenhauses Salzburg Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden. Schon vor der Eröffnung machten AbtreibungsgegnerInnen gegen die Gynmed mobil und tun das bis heute. Und nun soll ausgerechnet das Gesetz aus der Feder der ehemaligen rot-schwarzen Bundesregierung helfen Gabi Burgstallers einzige gute Tat zunichte zu machen. (Freundschaft, Genoss_innen!)
Unser Fazit ist: Alle drei Säulen des Rechtsstaates (das (un)heilige Dreiergespann Legislative, Exekutive und Judikative) verbünden sich gegen feministische Aktivist_innen um die Fundis zu schützen und ihnen den Weg zu ebnen. Repression hin oder her, wir bleiben aktiv und sehen uns auf der Straße (Juli – 1000 Kreuze Marsch – Salzburg)!
Einige Aktivistinnen
Der Gesetzestext im Wortlaut
Versammlungsgesetz § 7a. (1) Der Schutzbereich einer rechtmäßigen Versammlung ist jener Bereich, der für deren ungestörte Abhaltung erforderlich ist.
(2) Die Behörde hat unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten, der Anzahl der erwarteten Teilnehmer sowie des zu erwartenden Verlaufes den Umfang des Schutzbereiches festzulegen. Die Festlegung eines Schutzbereiches, der 150 Meter im Umkreis um die Versammelten überschreitet, ist nicht zulässig.
(3) Die Behörde kann von einer ausdrücklichen Festlegung des Schutzbereiches absehen, wenn 50 Meter im Umkreis um die Versammelten als Schutzbereich angemessen sind. Wird von der Behörde nichts anderes festgelegt, gelten 50 Meter im Umkreis um die Versammelten als Schutzbereich.
(4) Eine Versammlung ist am selben Ort und zur selben Zeit sowie im Schutzbereich einer rechtmäßigen Versammlung verboten.