Zum Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Szene

Wir veröffentlichen diesen Text zur Dokumentation.

Inhaltswarnung: Unkonkrete Erwähnungen von sexualisierter Gewalt, konkrete Erwähnungen von unsolidarischem Verhalten danach

Ich schreibe als eine der Betroffenen in einer Salzburger Defma-G’schicht um einen übergriffigen Typen, in diesem Text anonymisiert als X. Es gibt in dem Fall mehrere Betroffene und ich spreche hier für mich selbst – meine Wahrnehmung müssen nicht unbedingt mit den Wahrnehmungen anderer Betroffener deckungsgleich sein.

Ein Teil der Motivation für diesen Text ist sicher Psychohygiene und der Wunsch (soweit sowas geht) doch irgendwie für mich damit abzuschließen, weil ich immer wieder merke, wie sehr die Sache noch in mir brodelt – und das ist nicht mein privates, individuelles Problem und auch kein Zufall, sondern etwas politisches, und darum möchte ich auch meine Perspektive vermitteln. Ich weiß nicht genau, welche Erzählungen es dazu in Salzburg alles gibt und durch die Veröffentlichung dieses Textes will ich mir auch die Erzählerinnenrolle nehmen, vielleicht ein paar Dinge klar stellen, in gewisser Weise ein Resümee ziehen. Außerdem hoffe ich auch immer ein bisschen, dass Erzählungen und Erfahrungen von Übergriffen und dem Umgang damit Erkenntnisse für die Zukunft bringen können, damit sich an der ganzen Scheiße auch mal was ändert. Denn: Gewalt gibt’s auch „bei uns“ und wie wir gemeinsam damit umgehen geht alle was an. Punkt.

Zur Einordnung für Außenstehende und Leute, die beim Aufkommen der Auseinandersetzung vielleicht noch nicht in der Salzburger Szene involviert waren: Grob geht es um X, der in Salzburg in der linksradikalen Szene aktiv war und dort mehrfach als sexualisiert übergriffig aufgefallen ist. Nachdem sich im Frühling 2019 Betroffene zusammen geschlossen und sich eine Unterstützer_innengruppe geformt hat*, wurde relativ schnell die Forderung erfüllt, X aus den Szene-Räumen und Polit-Gruppen auszuschließen. Außerdem hat sich eine Gruppe gebildet, die mit X einen Täterprozess begonnen hat. Diese hat sich, zusammen mit der Unterstützer_innengruppe, wieder aufgelöst, da der Prozess nicht zielführend war und es ein zu großes Umfeld um X gegeben hat, das sich unkritisch weiter mit ihm getroffen hat.

Ich beginne mit den positiven Punkten zur Auseinandersetzung. Als bereichernd hab ich den Zusammenschluss mit anderen Betroffenen empfunden und ich bewundere sie für den Mut, den Austausch initiiert zu haben. Ohne sie wär in meinem Kopf vielleicht nie der Schalter umgelegt worden, die Sache zwischen X und mir richtig einordnen zu können. Und von einem recht großen Teil der Szene hab ich den Umgang auch als sehr solidarisch und unterstützend empfunden – man merkt, dass Leute viel gelernt und sich mit dem Thema beschäftigt haben.

Gar nicht mitbekommen hab ich offensiven Täterschutz à la „Aber er ist doch ein cooler Typ“ oder „Was die erzählen stimmt gar nicht“. Ob das daran liegt, dass es sich in der Salzburger Szene nicht „schickt“, offen ein Arschloch zu sein, ob ich mit diesen Leuten einfach nicht geredet hab, ob es sie nicht gibt, das sei mal dahin gestellt. Tatsächlich ist es aber leider so, dass es nicht reicht, übergriffige Typen nicht offensiv zu verteidigen.

Das ist auch schon mein größter Punkt, den ich kommunizieren möchte: Es ist furchtbar und einer linken Einstellung eigentlich unwürdig, dass einige Leute die Forderungen quasi vertraglich behandelt haben – wenn man sich ein paar Meter entfernt vom Szene-Ort mit X trifft, dann sind ja trotzdem alle Forderungen erfüllt und man hat sich nichts zu Schulden kommen lassen. Es scheint egal, dass so etwas trotzdem Signale sendet und Auswirkungen hat, sowohl auf Szenedynamiken als auch auf X. So sieht keine solidarische Auseinandersetzung aus, sondern das Suchen des leichtesten Wegs, um sich nicht damit beschäftigen zu müssen, dass ein Freund und Genosse Täter ist, ohne Ärger zu provozieren. Dass Leuten dabei wohl doch irgendwie bewusst war, dass diese Treffen nicht das Gelbe vom Ei sind und sie es aus schlechtem Gewissen zum Teil heimlich gemacht haben, hilft auch nicht. Ich möchte unterstreichen, dass es keine Forderung gab, das eigene Hirn nicht mehr zu benutzen. Das ist auch kein Aufruf dazu, zu Tätern im eigenen Umfeld unbedingt komplett den Kontakt abzubrechen, wenn das nicht von Betroffenen gefordert wird – ein paar mehr kritische Nachfragen bei X hätten sicher gut getan.

Was mich an der ganzen Sache traurig macht ist auch, dass ich den Prozess danach als vielfach belastender empfinde als den Vorfall an sich. In der linken Szene in Salzburg hab ich mich mal mehr, mal weniger wohl und zugehörig gefühlt, aber immer ziemlich sicher. In dieser Wahrnehmung gab es für mich durch die ganze Auseinandersetzung einen riesigen Bruch und mir ist einiges an Vertrauen verloren gegangen. Mit vielen Leuten, die mir wichtig sind oder waren, hab ich einzeln das Gespräch gesucht, mit vielen nicht mehr – aus Mangel an Energie und zum Teil auch aus Angst, noch weiter von einem solidarisch geglaubten Umfeld enttäuscht zu werden. Rational hab ich nie bereut, die Auseinandersetzung mit angestoßen zu haben, aber emotional hab ich mich doch öfter gefragt, ob es das wert war, mich so schwach fühlen zu müssen gegenüber dem unsolidarischen Verhalten vieler Leute, denen ich eine feministischere Haltung zugetraut hätte.

Ich hab mit mir gerungen, wie öffentlich ich diesen Text machen will und mich jetzt für eine sehr öffentliche Verbreitung entschieden, der Zugänglichkeit halber. Ihr könnt den Text auch weiter verbreiten, falls es sinnvoll erscheint. Falls es noch was wichtiges gibt, könnt ihr an graugraugrau +at+ systemli +punkt+ org schreiben. Vielleicht antworte ich, vielleicht nicht.

* Um Verwechslungen auszuschließen: 2019 wurden in Salzburg sexualisierte Übergriffe durch zwei Typen (halb-)öffentlich gemacht. Hier geht’s um die zeitlich erste Veröffentlichung.
Die Forderungen waren konkret, X Hausverbot in den bekannten Szene-Räumlichkeiten zu geben, ihn aus Polit-Gruppen auszuschließen, dass diese Gruppen dies öffentlich machen und ansprechbar für weitere Betroffene sind, dass von ihm erstmal kein Alkohol und co. mehr konsumiert wird und dass er einen Täterprozess startet.

Dezember 2021